So geht eine russische Militärhymne. Im maroden Russland ahndet man nach irgendeiner nationalen Idee, um nach außen hin handlungsfähiger zu werden, sich von der Knechtschaft durch fremde Mächte zu befreien und endlich einen eigenen zivilisatorischen Weg zu gehen. Die Annexion der Krim sei die Wiederaneignung des für orthodoxe ChristInnen heiligen Bodens, die Militäroperation in Syrien – gar der heilige Krieg gegen das Böse schlechthin; man auferlegt sich innenpolitisch „geistige Fesseln“, was so viel heißen soll, dass kaum ein repressiver, reaktionärer Gesetzesvorschlag ohne eine wie auch immer geartete Bezugnahme auf höhere, religiöse Werte auskommt. Da kommt die Russische Orthodoxe Kirche mit ihrer tausendjähriger Geschichte auf ihre Kosten und darf als Staatsmonopol für höhere Werte auftreten.
Doch der Schein trügt. Es ist die Schwäche, die verzweifelt nach Bindung sucht. In der postsowjetischen Postmoderne muss man sich zwischen Fundamentalismus und Nihilismus nicht entscheiden; nicht gläubige Individuen inszenieren sich als gläubige Nation in einem säkularen Staat. Die Religion ist im heutigen Russland ein umkämpftes Gebiet, doch es geht nicht mehr um sie.
Die neue Ausgabe des Grossen Thiers möchte zu einer Religionskritik beitragen, die notwendigerweise die Kritik des irdischen Jammertals und keine „idealistische Hermeneutik“ sein soll.